Die Stellungnahmen der Hochreligionen werden kurz nachfolgend zur Organspende skizziert.
Bis erst Ende der achtziger Jahre haben sich evangelische und katholische Kirche gemeinsam in zwei Veröffentlichungen zu diesem Themenkomplex ausführlich geäußert. 1989 veröffentlichten sie gemeinsam mit allen anderen christlichen Kirchen in Deutschland ein Grundlagendokument zu Fragen der Lebensethik unter der Überschrift "Gott ist ein Freund des Lebens“. 1990 schloss sich daran eine separate Veröffentlichung der beiden großen Kirchen zu Organtransplantationen an.
Die gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (1990) beschreibt Leben und Tod im christlichen Verständnis. Einige Auszüge daraus zeigen die christliche Stellungnahme zur Organspende im Tod:
Die gemeinsame Exegese der Organspende: Nächstenliebe und Solidarität
Zitate aus /35/: „Für den christlichen Glauben ist der Tod Ende der Pilgerschaft und Durchgang zum ewigen Leben. Das ewige Leben ist zwar bereits in unserem irdischen Dasein gegenwärtig, aber noch nicht in seiner ganzen unbedrohten Fülle. Wer glaubt, ist bereits jetzt vom Tod zum Leben hinübergegangen (Joh 5,24; Röm 6,13). … Wenn wir den Tod als Durchgang zum ewigen Leben bezeichnen, dann führt er nicht ins Nichts hinein oder in eine häufige Wiederverkörperung der Seele (Reinkarnation), sondern wir können aus der Offenbarung sein Ziel angeben. … (Ziel) wird auch unsere endgültige Heimat sein, zu der wir geschaffen und berufen sind (Joh 14,1-3). … Der Durchgang zum ewigen Leben ist eine für uns noch unvorstellbare Begegnung mit dem liebenden und richtenden Gott. … Der christliche Glaube schenkt uns die Gewissheit, dass es ein Leben nach dem Tod gibt und daß die Toten auferstehen. Der Tod reißt den Menschen nicht von Gott weg, denn Gott ist "kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn sind alle lebendig" (Lk 20,38). …
Auf dem Hintergrund des Neuen Testamentes folgert sich für die Organspende: „Vom christlichen Verständnis des Todes und vom Glauben an die Auferstehung der Toten kann auch die Organspende von Toten gewürdigt werden. Dass das irdische Leben eines Menschen unumkehrbar zu Ende ist, wird mit der Feststellung des Hirntodes zweifelsfrei erwiesen. Eine Rückkehr zum Leben ist dann auch durch ärztliche Kunst nicht mehr möglich. Wenn die unaufhebbare Trennung vom irdischen Leben eingetreten ist, können funktionsfähige Organe dem Leib entnommen und anderen schwerkranken Menschen eingepflanzt werden, um deren Leben zu retten und ihnen zur Gesundung oder Verbesserung der Lebensqualität zu helfen. … Die respektvolle Achtung vor Gottes Schöpferwirken gebietet freilich, dass der Leichnam des Toten mit Pietät behandelt und würdig bestattet wird. … Zugleich kann in der Organspende noch über den Tod hinaus etwas spürbar werden von der "größeren Liebe" (Joh. 15,13), zu der Jesus seine Jünger auffordert.
Aus christlicher Sicht ist die Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod ein Zeichen der Nächstenliebe und Solidarisierung mit Kranken und Behinderten.
Aus dieser Sicht wurde das Transplantationsgesetz von 1997 von den Kirchen gemeinsam unterstützt. Es verschafft einer breiten gesellschaftlichen Zustimmung zur Organtransplantation rechtlichen Ausdruck. Es gießt die Zustimmung zu dieser Möglichkeit, leidenden oder gar in ihrem Leben bedrohten Menschen zu helfen, in die Form des Gesetzes. Volle Einhelligkeit in den ethischen Voraussetzungen für ein solches Gesetz konnte in der Diskussion freilich nicht erreicht werden. Umstritten blieben bis zuletzt vor allem die Frage der Todesdefinition und die Möglichkeit der Organentnahme auf der Grundlage einer Zustimmung Dritter.
Die derzeitige Stellungnahme der Katholischen Kirche
Nach /36/: Die katholische Kirche besteht bis heute inhaltlich exklusiv an der obigen gemeinsamen These zur Transplantation bis 1990: „Ausgehend von der Evangeliumslesung über die Geschichte vom barmherzigen Samariter hob Kardinal Lehmann am 2. Juni 2002 hervor, dass Organspende ethisch verantwortliches Handeln sei und ein Akt der Nächstenliebe, der letzte und tiefste Ausdruck der Solidarität mit der Weggabe des eigenen Leibes. Leben als Geschenk Gottes müsse bewahrt und geschützt werden. Die Liebe zum Leben drücke sich aber auch aus in der Bereitschaft zur Organspende, in der Bereitschaft, anderen ein neues Leben zu schenken über den eigenen Tod hinaus.“
Die derzeitige Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
Die
Evangelische Kirche in Deutschland hat sich neben der Nächstenliebe die Würde
des verstorbenen Organspenders befasst /37/.
Wolfgang Huber hat für die EKD eine modifizierte Kritik des TPG in einem Vortag
„Was ist vertretbar? Ethische Probleme der Organtransplantation“ am 11.
September 2001 geäußert: „Unstrittig ist, dass im Hirntod nach dem
gegenwärtigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis ein untrügliches Todeszeichen
zu sehen ist. Umstritten dagegen ist, ob dieses untrügliche Todeszeichen mit
dem Tod der menschlichen Person schlechthin gleichgesetzt werden kann. Denn
wenn eine Organentnahme beabsichtigt ist, werden auch nach Eintreten des
Hirntodes die Herzkreislauffunktionen aufrechterhalten. In welchem Sinn von
einem Menschen gesagt werden kann, er sei tot, wenn Herz und Kreislauf noch
aktiv sind, ist für viele Menschen eine offene Frage. Umgekehrt erklären viele
Mediziner es für einen unerträglichen Zustand, wenn nicht die menschliche
Person als tot erklärt werden kann, bevor eine Explantation vorgenommen wird;
deshalb beharren sie
auf der Gleichsetzung des Hirntodes mit dem Tod der menschlichen Person.
Das Organtransplantationsgesetz von 1997 hat darauf verzichtet, den Hirntod ohne weiteres mit dem Tod der menschlichen Person gleichzusetzen oder überhaupt eine Todesdefinition vorzulegen. Vielmehr wird die Todesfeststellung an den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis gebunden. Damit wird der Vorläufigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis Rechnung getragen; die Offenheit für bessere wissenschaftliche Einsicht wird in die rechtliche Regelung integriert. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass wir menschliches Sterben als einen Prozess zu begreifen und zu beschreiben haben. Daraus erklärt es sich, dass wir auch in unserem Umgang mit Gestorbenen, in der Fürsorge für ihren Leichnam, in der Bereitschaft, sie pietätvoll zu Grabe zu tragen, und in der Ehrerbietung gegenüber dem Ort der Beisetzung einen Respekt vor der Würde der menschlichen Person zum Ausdruck bringen, der über den Tod hinauswirkt. Einstweilen ist es noch eine Minderheit, die schnöde sagt, der Leichnam eines Menschen sei vom Zeitpunkt des Todes an sowieso nichts anderes als der verwesliche Rest einer gewesenen Person. Und auch die zunehmende Praxis anonymer Bestattungen hebt ein kulturelles Orientierungsmuster nicht vollständig auf, in welchem wir das Sterben des Menschen als einen Prozess betrachten und auch dem Leichnam des Verstorbenen denjenigen Respekt entgegenbringen, der sich aus einem umfassenden Verständnis menschlicher Würde ergibt. Im christlichen Glauben hat dieser Respekt seinen tiefsten Grund in der Verheißung, dass der verwesliche Körper des Menschen unverweslich auferstehen wird: "Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich; ... es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib” (1. Korinther 15, 42 f.).
Der Dualismus des Leibes und der Seele. Überwindung der Endgültigkeit
Auch die christlichen Kirchen haben sich für das Transplantationsgesetz 1997 „gleichgeschaltet“ und preisen die Organspende ausschließlich als einen „Akt der Nächstenliebe“ an. In einer gemeinsamen Erklärung dazu heißt es (sinngemäß): „Der unter allen Lebewesen einzigartige Geist ist ausschließlich an das Gehirn gebunden.“ Bisher war die Kirche nur für die Seele zuständig!? Man teilt den Menschen im cartesianischen Sinne in Körper und Geist nach dem endlichen Tod – deutlich Dualismus! /19/
In jedem Menschen lebt eine unbegrenzte Sehnsucht nach (Überwindung der) Endgültigkeit seiner Existenz. Aber er ist in dieser seiner menschlichen Begrenztheit außerstande, diese Sehnsucht zu stillen. Soll in der Erfahrung radikaler menschlicher Gebrechlichkeit (Hinfälligkeit) und Vergänglichkeit das Wort von der Unsterblichkeit überhaupt einen greifbaren Sinn haben, dann kann diese Zusage nichts anderes beinhalten als die von Gott selbst in seiner erlösenden befreienden Menschwerdung geglaubte Verheißung dieser je individuellen Lebenserfüllung selbst.
Durch den Tod wandert der Christ nicht in ein neues, anderes räumliches oder zeitliches Jenseits aus.
Wo dieser christliche Glaube an den Sinn verbürgenden Grund lebendig ist oder aber im Prozess der Lebens- und Entfaltungsgeschichte wieder lebendig wird, da wird auch die hoffende glaubende Gewissheit greifbar, dass dieser Gott als Grund dieses Lebenssinnes die Erfüllung im menschlichen Leben sein wird. Jenseits konfessioneller Bekenntnisräume gesprochen: In jedem Menschen lebt eine unbegrenzte Sehnsucht nach Endgültigkeit seiner Existenz und damit der Vermeidung der Störungen und Enttäuschungsunanfälligkeit in der Unendlichkeit.
Unsterblichkeit des Lebens meint vielmehr das Geborgensein des Menschen in einem Geheimnis versöhnter Liebe seines Lebens. Dies meint letztendlich die Rede (Zusage, Antwort) von Gott. Die einklagende Frage von Menschen, was der Tod letztlich (und endlich) sei und was er nicht ist, beantwortet sich für den christlichen Glauben einzig und allein im Kontext der Gottesfrage.
Die Unsterblichkeit des Menschen ist Inhalt der meisten der Hochreligionen.
Die Stellungnahmen zur Organspende behandeln keine ausgiebige Exegese der beiden Hochreligionen.
Der Islam
Nach /35/: Islamische Gelehrte
behandeln in ihren Rechtsgutachten zum Thema Organtransplantation die
gottfällige Haltung, ein Menschenleben zu retten, mit oberster Priorität. Bei
der 3. Internationalen Konferenz Islamischer Gelehrter in Amman/Jordanien
wurden Herztod und Hirntod gleichgestellt. Die Organtransplantation von einem
Toten sei nicht gleichbedeutend mit Respektlosigkeit gegenüber dem Toten,
ferner sei Organspende ein Zeichen von Mitgefühl.
Gemäß dem Prinzip
„Taten werden nach der dahinter stehenden Absicht beurteilt“ dürfte die
Organspende lediglich aus einem Gefühl der Nächstenliebe heraus geschehen.
Keinesfalls kann sie zu Handelszwecken genutzt werden.
Der Spender sollte bei klarem Verstand und volljährig sein und sein Einverständnis erklärt haben. Organe von Kindern oder entmündigten Menschen können auch mit Zustimmung der Erziehungsberichtigten oder Betreuer entnommen werden. Auch Lebendspenden sind möglich. Allerdings muss der Nutzen für den Empfänger den möglichen Schaden für den Spender überwiegen.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat in seiner Stellungnahme zur Organtransplantation das Transplantationsgesetz von 1997 als mit dem islamischen Prinzip vereinbar eingestuft.
Das Judentum
Nach /35/: Es entspricht dem Grundprinzip der jüdischen Religion, dass der menschliche Körper eigentlich Gott gehört und nur als eine Leihgabe angesehen werden darf. Daher kann man nicht frei über seinen Körper verfügen, sich willentlich Verletzungen zuführen oder sich freiwillig in Gefahr begeben. Allerdings kann dieses Gesetz beiseite geschoben werden, wenn es darum geht, menschliches Leben zu retten. Allerdings darf man auch dann nicht das eigene Leben gefährden. Daher sind Blut- Haut oder Knochenmarkspenden in der Regel problemlos, auch die Lebendspende einer Niere ist nach Meinung zahlreicher Autoritäten vertretbar.
Ein Mensch gilt nach dem
jüdischen Glauben erst als tot, wenn sein Herz nicht mehr schlägt. Der Hirntod
ist daher nach der Halacha, der jüdischen Gesetzesauslegung nicht dem Tod des
Menschen gleichzusetzen. Diese Auffassung lässt eine Organentnahme bei
Hirntoten entsprechend dem Transplantationsgesetz nicht zu. Allerdings sind
Organentnahmen und Übertragungen gestattet, wenn das Herz des Spenders
aufgehört hat zu schlagen und dadurch Menschenleben gerettet wird. So ist
beispielsweise die Übertragung einer Augenhornhaut daher in der Regel möglich.
(Quelle: Die aktuelle
Biomedizin aus Sicht des Judentums, Dr. Y. Nordmann, Rav. M.Birnbaum, in
Bioethik und Wissenschaftskommunikation, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare
Medizin Berlin-Buch)
Darf der Mensch durch Selbstmanipulation in den jeweiligen Körper eingreifen und ist dadurch die Schöpfung Gottes verletzt? Sind die Christen entsprechend der Schöpfung Gottes noch fügsam oder „fragen sie zurecht, weil sie sich nicht mehr zufrieden geben können mit infantilen Vorstellungen und Tröstungen, die nicht mehr tragen?“ /38/
Der Theologe Karl Rahner hat diese Fragen versucht zu beantworten und stellte 1966 in „Experiment Mensch. Theologisches über die Selbstmanipulation des Menschen“ /39/ fest: „Die neue Wirklichkeit und die begonnene Zukunft der Selbstmanipulation des Menschen“. Der Mensch ändert sich also – und zwar aktiv und planmäßig, dies in mehrfacher Hinsicht. Unter Auslassung moralischer Fragen, also z.B. der sittlichen Beurteilung von Nieren-Transplantationen (die er bereits kannte) konstatiert der Jesuit Rahner (Jahrgang 1904, gestorben 1984): „Der Mensch ist grundsätzlich operabel und darf es sein. Ja, er muss sich selbst steuern, planen und manipulieren, wenn er „in vielen Milliarden Exemplaren gleichzeitig auf der Erde existieren will!““
Für Rahner ist die Selbstmanipulation durchaus mit dem christlichen Menschenbild vereinbar. Er schreibt: „Der Mensch ist wirklich für eine christliche Anthropologie das sich selbst manipulierende Wesen.“ Und auch: „Denn für ein christliches Selbstverständnis ist der Mensch als Freiheitswesen vor Gott in radikalster Weise derjenige, der über sich selbst verfügt, der in Freiheit sich in seine eigene Endgültigkeit hineinsetzt.“ Und: „Was durch Tod und Gericht wird, ... ist die offenbar gewordene, nackte Wirklichkeit der eigenen Endgültigkeit, zu der er sich selbst gemacht hat.“
Es zeigt sich demnach und das entspricht der christlichen Befreiung vom numinosen Naturzwang: „Der Mensch ist nicht mehr bloß auf Ewigkeit, sondern auf Geschichte als solche selbst hin der sich selbst Tuende.“
Durch aktive kulturelle Evolution setzt er die biologische Evolution fort. Er tritt der Welt und Natur herrscherlich gegenüber und ist dabei Partner des weltjenseitigen Gottes. Rahner meint sogar, dass der Mensch tun darf, was er kann, was er wirklich kann. Denn wo er wirklich nicht darf, da geht es auch nicht. Aber „es lassen sich durchaus auch biologische, psychologische und gesellschaftliche Gesetze erahnen“, meint Rahner, „die unbeschadet der Freiheit der Selbstmanipulation gewissermaßen als Regelsysteme verhindern, dass solche Selbstmanipulation im Ganzen und auf die Dauer in das wesenswidrig Absurde sich verirrt.“
Rahner bietet damit die Voraussetzung, dass der Mensch an der „fortwährenden Schöpfung Gottes“ durch eine „gewisse Dynamik innewohnt und somit am Schöpfungsakt Gottes teilnimmt“, sodass er „neben den deterministischen Vorgängen auch Zufallprozesse gibt“ /38/.